Was wir einen Platz nennen,

                                         ist oft nur ein Stuhl.

                                         Man setzt sich hin und

 

                                         blickt auf etwas, das grün ist.

                                         Es sind Blätter. Das ist alles,

                                         was man weiß. Es reicht

 

                                         gewöhnlich aus. Eines Nachmittags

                                         im Sommer kam ich ebenfalls

                                         dorthin und setzte mich. Ich

 

                                         wußte, daß dieser Platz besetzt

                                         war, obwohl es nur ein Stuhl war,

                                         der im Grünen stand. Ich sah

 

                                         genauso auf »die Blätter«, und

                                         dann stand ich wieder auf.

 

Ich kenne dieses Gedicht von Rolf Dieter Brinkmann mit dem Titel Limonade im Grünen seit vielen Jahren. Es kam mir wieder in den Sinn, als ich mich für das obige Foto als Header für diese Website entschied.

Vielleicht dachte ich an das Gedicht, weil das gewählte Bild über eine ähnliche, gleichsam analytisch kühle Atmosphäre verfügt. Das gewittrige Zwielicht des stürmischen Frühlingstages, an dem ich das Foto aufnahm, verleiht den Dingen jene übernatürlich anmutende Räumlichkeit und Farbigkeit, durch die sie bedeutsamer erscheinen als das, was sie sind und was sich nur wenige Dutzend Meter entfernt von hier, wo ich sitze, befindet: das von Platanen gesäumte Ufer des Bodensees mit den Bänken, auf denen man Platz nehmen und, wie das lyrische Ich in Brinkmanns Gedicht auf »die Blätter«, auf »das Wasser« blicken und dann wieder aufstehen kann.

Was ist und wodurch entsteht Raum hinter den Dingen?

Viel mehr als die sogenannte wirkliche Welt, der dies alles zweifellos angehört, interessiert mich von Kindesbeinen an jener durch die Anführungszeichen um die Blätter in Brinkmanns Gedicht aufscheinende Raum »hinter« den Dingen: der Raum, den man nicht sieht, wenn man die Dinge mit bloßem Auge betrachtet, und der dennoch da ist – durch den jedes Ding und jedes Wort, mit dem man es bezeichnet, zum Symbol für etwas Geheimnisvolles, auf den ersten Blick nicht zu Ergründendes wird.

Dieser unsichtbare Raum ist da beziehungsweise entsteht dadurch, dass Menschen sich zu Dingen und Worten in Beziehung setzen.

In Brinkmanns Gedicht ist diese Beziehung, in die das lyrische Ich zu Stuhl und Blättern tritt, offenbar rein sachlich. Nicht einmal die für den Stuhl verwendete Bezeichnung »Platz«, auf den man sich setzt, um die »Limonade im Grünen« (von der im Gedicht bezeichnenderweise nirgendwo die Rede ist) zu genießen, scheint im Sinne dieser Sachlichkeit angemessen zu sein. Doch durch die mangelnde Emotionalität des Ausdrucks gewinnen die wenigen verwendeten Bezeichnungen und die damit bezeichneten Dinge eine unwahrscheinlich tiefe Bedeutung, wirken sie in der betonten Banalität geradezu bedeutungsschwanger: »Stuhl« und »Blätter« sagen viel mehr als eine wortreich beschriebene Ausflugszenerie, wie sie im schlichten Titel des Gedichts angedeutet ist.

Die Ordnung der Unterwelt – Textstruktur und Interpretationsspielraum

Um diesen Raum, der wesentlich ein Interpretations- beziehungsweise Interpretations-Spielraum ist, dreht sich auch meine Dissertation »Die Ordnung der Unterwelt«. Zum Verhältnis von Autor, Text und Leser am Beispiel von Hans Henny Jahnns »Fluss ohne Ufer« und den Interpretationen seiner Deuter.

In dieser Studie habe ich Hans Henny Jahnns Romantrilogie Fluss ohne Ufer und vorliegende Deutungsansätze auf die Existenz eines solchen Interpretationsspielraumes hin untersucht und die wesentliche Beziehung zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und dem geheimnisvollen Raum »hinter« den Dingen sowie ihren Bezeichnungen herausgearbeitet.

In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass die Beziehung des Wahrnehmenden zum Ding oder Gegenstand nicht wertneutral, sondern stets verbunden ist mit zahlreichen Akten der Bewertung, die sich auf einem schmalen Grad zwischen vereinnahmender Idealisierung und negierender Abgrenzung bewegen und sich selten bewusst vollziehen.

Das lyrische Ich in Brinkmanns Gedicht scheint darum bemüht, vom anvisierten Pfad der Neutralität nicht einen Deut abzuweichen. Nur wenige Worte und scheinbar keinerlei Emotionen birgt die »Limonade im Grünen«. Als Leser aber werden wir dadurch verführt, den vom lyrischen Ich so zögerlich eingenommenen »Platz« zu »besetzen« mit all den Assoziationen, die der »spritzige« Gedichttitel in uns hervorruft.

Wir können nicht anders, als uns in irgendeiner Weise, positiv oder negativ, bewusst oder unbewusst mit den Dingen (den leblosen wie den lebendigen, also Pflanzen, Tieren, Menschen) in unserer Umgebung zu verbinden. Wir sind ein Teil von ihnen, auch dann, wenn sie uns persönlich nichts bedeuten. Dann besteht ihre Bedeutung noch immer darin, dass sie uns persönlich nichts, anderen möglicherweise aber etwas und vielleicht sogar sehr viel bedeuten.

Räumliches Denken – eine Preisfrage

Über eine solche, zunächst einmal rein ideelle Wertsphäre verfügt jedes Ding und unabdingbar damit verbunden auch der Mensch, der den Dingen die Bedeutung verleiht und sie damit zugleich mehr oder minder wertschätzt.

Zu diesem Thema habe ich im Dezember 2008 anlässlich der Auslobung einer Preisfrage durch Die Junge Akademie einen Essay geschrieben, der hier erstmals veröffentlicht ist. Die Frage lautete: Welchen Raum braucht das Denken? Ich beantwortete sie mit dem Satz: Das Denken braucht den Raum hinter den Dingen und bin darauf in einer zweiteiligen Betrachtung näher eingegangen:

Im ersten Teil reflektiere ich die sich in der Beziehung des Einzelnen zu einem Gegenstand (wie beispielsweise einem Haus) manifestierende und subjektiv erheblich changierende Wertsphäre der Dinge und zeige, inwiefern sie sich auch auf die Gestaltung der Preise auswirkt, die man mit Dingen auf dem Markt zu erzielen vermag.

So konnte die Subprime-Krise auf dem us-amerikanischen Immobilienmarkt im Jahr 2007 nur deshalb ihren fatalen Lauf nehmen, weil die großteils durch faule Hypotheken-Kredite finanzierten Eigenheime ihren Besitzern ungleich viel mehr bedeuteten als ein Dach überm Kopf: Durch den Erwerb eines Hauses hofften offenbar auch die einkommensschwächeren Bürger der USA die finanzielle Sicherheit und soziale Geborgenheit zu gewinnen, die ihnen und ihren Angehörigen von der staatlichen Gemeinschaft bis heute vorenthalten wird.

Wären die US-Bürger in erforderlichem Maße finanziell und sozial abgesichert gewesen, hätten die sie mit Krediten ködernden Institute, die über ihren windigen Geschäften dann selbst fast Bankrott gegangen wären, vermutlich keine Chance gehabt. Denn Spekulation lebt in erster Linie von einem mehr oder weniger subjektiven Gefühl des Mangels, das die Marktteilnehmer mit einem scheinbar knappen Gut verbinden und das sie dieses maßlos überbewerten lässt.

Die Subprime-Krise wie auch die daraus resultierende Banken- und die wiederum daraus resultierende Staatsschuldenkrise hätten ohne dieses tief in den Seelen der Menschen verwurzelte Gefühl des Mangels wohl nicht stattfinden können. Gibt man den Menschen, was sie in bzw. hinter den Dingen begehren, die sie um jeden Preis besitzen möchten, dann brauchen sie diese gar nicht mehr unbedingt; und die Dinge lassen sich für spekulative Geschäfte und den Gewinn, den einige wenige damit erzielen, nicht mehr länger missbrauchen.

Raum für dich und mich: Das bedingungslose Grundeinkommen

Aus diesem Grund habe ich bereits im zweiten Teil meines Essays aus dem Jahr 2008 die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zur Lösung der bis heute andauernden Krise vorgeschlagen: Gibt man dem Einzelnen beziehungweise geben wir uns in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens den Raum, uns finanziell sicher, sozial geborgen und persönlich unabhängig zu fühlen, werden wir weder ein Haus noch zahlreiche andere Dinge zu unserer persönlichen Zufriedenheit benötigen.

Aus meiner Sicht stellt die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens den praktikabelsten politischen Ansatz dar, die Wertsphäre jedes einzelnen von uns in erforderlichem Maße zu schützen. Auf dem Weg der Selbstachtung und der damit verbundenen Achtung des Anderen können wir dann auch zu einem im Sinne des Erhalts unserer Umwelt so wichtigen, neuen und vernünftigen Verhältnis zur Waren- und Konsumwelt finden.

Relativer materieller Wohlstand, Bildungsmöglichkeiten und Sozialgesetzgebung verschaffen uns (zumindest in der westlichen Welt) zwar noch nie erlebte persönliche Entfaltungsmöglichkeiten; da der angemessene politische Rahmen für eine wirklich freie persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Anerkennung nicht gegeben ist, beschränkt sich unser Erleben persönlicher Freiheit jedoch in erster Linie auf das Ausleben eines exzessiven Konsums auf Kosten anderer, die in ihren persönlichen Rechten dadurch wiederum um so massiver eingeschränkt werden.

Die in unserer angeblich so freien und friedliebenden Gesellschaft verankerten Mechanismen struktureller Gewalt (zum Beispiel in Gestalt des auf soziale Auslese und Hierarchisierung geeichten Erwerbsarbeitssystems sowie des zugehörigen Bildungssystems) wirken äußerst subtil auf uns ein und verwandeln unseren an sich unschuldigen und natürlichen Drang nach persönlicher Entfaltung und Verwirklichung allzu oft in eine Form egozentrierter Geltungssucht. Ohne Rücksicht auf die Interessen unserer Mitmenschen streben wir nach persönlichem Glück und glauben, nichts dazu beitragen zu können, die sichtlich ungerechten und für die Mehrzahl der Menschen unbefriedigenden politischen und sozialen Verhältnisse zu verändern.

Die Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dass es den lang ersehnten Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen und denen der Gemeinschaft endlich zu finden gilt. Aus meiner Sicht besteht prinzipiell kein Widerspruch zwischen diesen Interessen. Vielmehr können sie, wenn die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, einander fruchtbar ergänzen:

Wird dem Individuum endlich der Raum gewährt, den es zur Entwicklung seiner selbst und seiner persönlichen Werte beansprucht, wird es auch nicht mehr dazu neigen, sich die Wertmaßstäbe anderer zu eigen machen und seine persönlichen Interessen gegenüber anderen um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Der Einzelne wird ins Recht gesetzt und befriedigt. Damit wäre erstmals die Voraussetzung zu einer echten Gleichberechtigung, zur kollektiven Befriedigung und zur Befriedung all der mit den derzeitigen Verhältnissen verbundenen Konflikte gegeben.

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